Text: Johanna Schmidt

Es ist der 21. Februar 2012, als Marija Wladimirowna Aljochina, Nadeschda Andrejewna Tolokonnikowa und Jekaterina Stanislawowna Samuzewitsch die Christus-Erlöser-Kirche in Moskau betreten. Bunte Sturmhauben verdecken ihre Gesichter als sie ganze 41 Sekunden lang ihr Punk-Gebet in der Kirche performen. Wenige Stunden später befinden sich die drei Musikerinnen in Untersuchungshaft. Angeklagt wegen „grober Verletzung der öffentlichen Ordnung und Rowdytums“.

„Mutter Gottes, Jungfrau, verjage Putin / Verjage Putin verjage Putin“ oder „Mutter Gottes, Jungfrau, werde Feministin / Werde Feministin, werde Feministin“, gehören zu den Zeilen dieses Punk-Gebets.

Im Laufe des darauffolgenden Prozesses bekunden zahlreiche Politiker:innen, Kulturschaffende und Künstler:innen aus Russland und der ganzen Welt ihre Solidarität mit den Mitgliedern von Pussy Riot, die im August 2012 zu jeweils zwei Jahren Lagerhaft verurteilt werden.

Anfang 2022, also zehn Jahre nach dem ikonischen Auftritt von Pussy Riot in der Christus-Erlöser-Kirche, greift Russland die Ukraine an. Und auch dies lässt die Band, deren Grenzen zu einem Künstlerinnen-Kollektiv fließend sind, nicht unkommentiert. In diesem Jahr sind es Marija Aljochina, Diana Burkot, Anton Ponomarew und Olga Borisova, die Pussy Riots „Anti-War-Tour“ auf die Bühne bringen. Und auch diesmal ist mit Repressalien zu rechnen, steht es doch in Russland unter Strafe, sich gegen den Angriffskrieg auszusprechen, oder ihn gar als solchen zu benennen. Um die Tour überhaupt beginnen zu können, musste Marija Aljochina getarnt als Essenslieferantin ihr Haus verlassen und entkam so der Überwachung durch die Polizei.

„Matriarchy Now“ heißt das in diesem Jahr erschienene Album der Band. Den Großteil des Covers nimmt eine Aubergine vor rosa Hintergrund ein, in der ein Messer mit ebenfalls rosafarbenem Griff steckt. Subtiler geworden ist die russische Punkband, deren erste, 2012 veröffentlichte EP „Kill The Sexist“ hieß, nicht. Klanglich aber haben sie sich verändert. Die insgesamt sieben Songs auf „Matriarchy Now“ kommen wesentlich poppiger daher, als die der vorausgegangenen Werke. So singen Pussy Riot auf dem Track „Punish“ in Grimes-ähnlicher Süß-Pop-Manier „I‘m gonna tie you up / I might slit your throat (No) / Do what I wanna do / I punish you, I punish you“. Es scheint also um sexuelle Selbstermächtigung zu gehen, um BDSM, um Frauen und Macht, doch bleibt der Eindruck beim Hören, dass die Band durchaus auch abseits einer sexuellen Ebene ausformuliert, wie das Patriarchat und dessen Säulen bestraft werden könnten.

Dass „Matriarchy Now“ trotz aller Annäherung an Mainstream-Melodien nicht auf Durchhörbarkeit setzt, ist dabei nur konsequent. Der Band geht es in erster Linie immer noch um die Aussage, um das, was Kunst ausdrücken und verändern kann. Ihre Songs sind feministische Kampflieder, gesungen von Frauen, die für ihre Vorstellungen von einer besseren Welt dazu bereit waren, alles zu verlieren. Pussy Riot sind nach wie vor das Messer in der Aubergine des Patriarchats.

Pussy Riot – Punk Prayer