Text: Kristin Theresa Drechsler

Wem als Kind beigebracht wird, nicht zu lügen, stellt schnell fest, dass die größten Lügner meist die Prediger der Wahrheit selbst sind. Und überhaupt ist es mit Geboten so eine Sache. Meist sind sie doch nur dazu da, sie zu übergehen, sich quasi selbst auszutricksen – und die anderen. Was bleibt also übrig? Ohne Gebote leben? Oder vielleicht seine eigenen machen. In der Hoffnung, dass diese mehr Bestand haben als die Werte und Normen, die uns die Älteren einzupflanzen versuchen.

In ihrem Lied „Zehn Gebote für mein Leben“ (1980) hat Bettina Wegner genau das getan: ihre eigenen Gebote festgehalten. Und hiermit auch eine Art Selbstporträt ihrer besonderen Künstlerinnenpersönlichkeit geschaffen. Scheinbar mühelos hat sie in ihren Songs komplexe Themen auf den Punkt gebracht, das Persönliche mit dem Politischen verflochten und menschliche Wahrheiten einer Prüfung unterzogen. So auch in ihrem bekanntesten Lied „Kinder“, in dem sie deren Zartheit und Zerbrechlichkeit thematisiert, die jedoch viel zu häufig übergangen wird: „Sind so kleine Seelen / offen und ganz frei / Darf man niemals quälen / gehn kaputt dabei.“

Bettina Wegner wurde am 4. November 1947 in Berlin-Lichterfelde geboren und wächst in Ostberlin auf. Vom Kommunismus überzeugt, waren ihre Eltern nach der Gründung in die DDR übergesiedelt. Nach einer Ausbildung zur Bibliotheksfacharbeiterin beginnt Wegner 1966 ein Studium an der Schauspielschule Berlin. Als Kind verehrt sie Stalin und ist auch als Heranwachsende überzeugte DDR-Bürgerin. Allerdings bekommt sie zunehmend Probleme, da sie sich nicht nehmen lassen will, offene Kritik zu äußern und zu sagen, was sie bewegt.

1968 wird sie schließlich verhaftet, als sie Flugblätter gegen den Einmarsch der sowjetischen Truppen in die Tschechoslowakische Republik verteilt. Wegen „staatsfeindlicher Hetze“ muss sie 16 Monate Strafarbeit leisten. Im Anschluss holt sie ihr Abitur nach und macht eine Ausbildung zur Sängerin. Von da an ist sie als freischaffende Liedermacherin tätig und organisiert gemeinsam mit ihrem damaligen Mann, Klaus Schlesinger, regelmäßig Konzerte. Als sie 1976 öffentlich gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann protestiert, wird sie zunehmend unter Druck gesetzt. Sie erhält Berufsverbot, spielt aber trotzdem weiter und versucht dabei unerkannt zu bleiben. Auf Werbepostern für die Abende wird ihr Name weggelassen.

Als Widerstandskämpferin versteht sich Bettina Wegner trotz allem nicht. Im Rückblick sagt sie: „Ich selbst habe mich in der DDR als Mensch definiert, der Lieder singen möchte. Es ging mir nur um Liebeslieder, eine Platte voller Liebeslieder – das wäre es gewesen. Doch je mehr sie mich ärgerten, desto feuriger wurden die Lieder. Am Ende durfte ich nur noch in Kirchen spielen.“
Außerhalb der DDR wird sie 1978 schlagartig durch einen Auftritt in der „Kennzeichen D“-Sendung von Dirk Sager bekannt. Es folgen Auftritte in der BRD, Österreich, Belgien und der Schweiz. Doch es bleibt unbequem für Wegner. 1983 wird sie „wegen Verdachts auf Zoll- und Devisenvergehen“ vor die die Wahl gestellt: Gefängnis oder Ausbürgerung. Sie geht nach Westberlin, wo sie bis heute lebt. Nach ihren eigenen „Zehn Geboten“, die nichts an ihrer Gültigkeit eingebüßt haben:

„Aufrecht stehn, wenn andre sitzen
Wind zu sein, wenn andre schwitzen
lauter schrein, wenn andre schweigen
beim Versteckspiel sich zu zeigen
nie als andrer zu erscheinen
bei Verletzung nicht mehr weinen
Hoffnung haben beim ertrinken
nicht im Wohlstand zu versinken
einen Feind zum Feinde machen
Solidarität mit Schwachen

Und ich hab sie nie gebrochen, bis auf ein Gebot:
Bei Verletzung wein ich manchmal, was ich mir … verbot.“