
Text: Kristin Theresa Drechsler
In ihrem Pass stand der Eintrag „ohne festen Wohnsitz“. Dieser Heimatlosigkeit einen bis heute unvergleichlichen musikalischen Ausdruck zu verleihen, war wohl eins von Nicos größten Talenten. Wie keine andere hat sie zum Leuchten gebracht, wo den meisten die Worte fehlen. Mit einer Stimme, die so klingt als hätte sie längst vergessene Gräber ausgehoben, eingehüllt in die sakralen Klänge eines Harmoniums, wurde sie nicht ohne Grund zur „Priesterin der Nacht“ gekürt. Und das ist so passend und unpassend wie Klischees eben sind.
Düster, kalt, unnahbar, schwierig, lieblos, zerstörerisch, rätselhaft, gelangweilt, melancholisch, begehrenswert. Zuschreibungen dieser Art haften dem Namen Nico an wie eine zweite Haut. Sie formen das Bild einer Kunstfigur, die als todessehnsüchtige Königin der Finsternis in die
Geschichte der Popkultur eingegangen ist.
Dieses Bild hat Risse. Denn Nico war nicht nur Schwester der Nacht, die Hand in Hand mit Gevatter Tod ihrem Ende entgegensang. Sie war vom Leben getrieben. Von dem Wunsch, in ihm das Mögliche auszuschöpfen. Dazu gehörte für sie, sich immer wieder selbst zu überschreiten – und vor allem auch, sich nicht dem Willenanderer zu beugen.
Geboren 1938 in Köln, verbringt Nico, die mit bürgerlichem Namen Christa Päffgen heißt, ihre Kindheit in Berlin und wird seit dem Tod ihres Vaters 1942 von ihrer Mutter und Tante aufgezogen. Früh entscheidet sie sich gegen die Schule und beginnt zu arbeiten. In den Trümmern Berlins wird sie als Model entdeckt und geht mit nur 16 Jahren nach Paris. Später schreibt sie in ihr Tagebuch: „Wenn man ein Mensch mit seltsamen Charakter ist, sind fremde Länder am besten um neu anzufangen.“ Als Coco Chanel ihr einen Job anbietet, lehnt sie ab und zieht weiter nach New York. Dort macht sie sich als Sängerin von The Velvet Underground einen Namen. Es war Andy Warhol, der sie in der Band haben wollte. Sie wurde seine Muse. Eine widerspenstige Muse allerdings.
Doch es war nicht Warhol, der sie zur Musik brachte. Bereits 1965 veröffentlicht sie ihre erste Single „I’m Not Sayin’“ mitsamt Musikvideo. Es war ihr musikalischer Antrieb, der sie nach New York zog. Eine Tatsache, die gern unterschlagen wird. Zu hartnäckig will sich das Bild der Femme Fatale halten, die vor allem durch das Begehren der vielen Männer, denen sie den Kopf verdrehte, geformt wurde. Aber Nico war keine schöne, leere Hülle, der allererst Leben eingehaucht werden musste.
1967 erscheint das Debütalbum „The Velvet Underground & Nico“. Die drei Songs, auf denen Nicos Stimme zu hören ist („Femme Fatale“, „All Tomorrow’s Parties“, „I’ll Be Your Mirror“), wurden legendär. Beinahe wären sie nicht entstanden, denn Lou Reed tut sich schwer, seinen Platz am Mikrofon zu teilen. Darum bleibt Nico bei Konzerten meist nicht mehr als hübsches Beiwerk. Eine Rolle, die sie bald von sich abschütteln soll. Ihr Soloalbum „Chelsea Girl“ erscheint ebenfalls 1967. Das verspielte Folk-Album ist aber so gar nicht, was sie im Sinn hat. Sie hasst es. Die vielen Flöten und Streicher sind ihr zuwider. Als sie es zum ersten Mal hört, weint sie.
Ihr künstlerischer Befreiungsschlag lässt jedoch nicht lange auf sich warten. Großenteils autodidaktisch eignet sich Nico das Harmonium an, beginnt Songs zu schreiben, die mit den Konventionen der damaligen Popmusik brechen. 1968 erscheint „The Marble Index“, ihr eigentliches musikalisches Debüt. Es ist, wie auch die zwei weiteren Soloalben „Desertshore“ (1970) und „The End“ (1974), radikales Zeugnis eines musikalischen Nihilismus. Ein Nihilismus, der nicht in der bloßen Verneinung verharrt, sondern eine neue Musiksprache heraufbeschwört, die in ihrer sonderbaren Wahrhaftigkeit noch immer für viele kaum auszuhalten ist. Und zugleich wegweisend für nachkommende Generationen war und bleibt: von Joy Division über Bauhaus bis zu Patti Smith und Björk – um nur wenige Namen zu nennen.
Ihre letzten Lebensjahre verbringt Christa Päffgen auf Ibiza, wo sie am 18. Juli 1988 gestorben ist. Den Namen Nico hatte sie abgelegt.